Der überfüllte Saal und die lebhafte Diskussion können als Beweise dafür genommen werden, daß die akademische Jugend des Westens bereit ist, sich mit den kulturellen Dingen der Menschen um abgetrennten Teil Deutschland auseinanderzusetzen. Der Film, dem der Frankfurter Rezensent H. Ungureit notwendige Erläuterungen vorausschickte, hat künstlerisch so hohe Qualitäten, daß man diese nicht (wie es in der anschließenden Diskussion leider geschah) unbeachtet lassen sollte.


Der Regisseur Konrad Wolf, ein Sohn des bekannten Dramatikers Friedrich Wolf, gab dem Film eine vom Optischen her ideenreiche Form, die besonders im Anfang, wo man noch nicht von Längen und politischen Diskussionen ermüdet ist, fesselt. Man stellt außerdem fest, daß die ostzonalen Schauspieler, die hier so gut wie unbekannt bleiben, über starke Ausstrahlung und eine selbstverständliche Darstellungsart verfügen, so - daß eine gewisse Gleichförmigkeit (durch die Thematik bedingt) im wörtlichen Sinn von ihnen überspielt wird.

Wie schon der Rezensent der Frankfurter Rundschau erläuterte, kommt dem Film in politischer Hinsicht besondere Bedeutung zu. Das Buch gleichen Titels wurde im vergangenen Jahr zum meistgelesenen der DDR. Die Umwelt ist die der Jahre vor dem Berliner Mauerbau. Der junge Wissenschaftler Manfred setzt sich aus beruflicher Enttäuschung nach dem Westen ab, seine Braut Rita, durch ihren freiwilligen Dienst in der Waggonfabrik ganz von den Ideologien der Arbeiter und Brigadeführer erfüllt, verzichtet auf den geliebten Mann, um in ihrer Heimat, der sie sich verpflichtet fühlt, zu bleiben

Dieses Thema hätte sehr leicht zu einer plakatierten Schwarz-Weiß-Malerei führen können, auf die Konrad Wolf aber weitgehend verzichtet. Manfred wird wohl als weich und "anfällig" für westliches Gedankengut gezeichnet, jedoch keineswegs unsympathisch. Die Geradlinigkeit Ritas überzeugt vielleicht nicht ganz, obwohl sie durch ihr freundschaftliches Verhältnis zu dem alten Werkmeister und den Arbeitskameraden motiviert werden soll, aber die neue künstlerische Form des "komplizierten" Erzählens und Sehens bewahrt die Mädchengestalt vor tendenziöser Naivität. Das Bemühen (und das macht den Film, der ja für ostzonale Besucher gedreht wurde, bemerkenswert), die Voraussetzungen, die zu einer Flucht gerade der Intelligenz führten, zu erkennen, sie auszuleuchten, bleibt, wenn auch unterschwellig, immer spürbar. Ein Satz wie der Manfreds: "Der Bodensatz der Geschichte ist immer das Unglück des Einzelnen" läßt aufhorchen.

Westdeutschen und ausländischen Studenten mag die DDR-Atmosphäre, die neben Politik und Arbeit kaum dem Persönlich-Individuellen Raum läßt, überzeichnet erscheinen. Sie ist es nicht. Als regelmäßiger Besucher der Zone ist man immer wieder davon betroffen. Dagegen gleitet Wolf in oberflächliches Klischee ab bei der Charakterisierung Westberlins. Doch kann man von der "neuen Welle", bei der sich eine Absage an simple Propaganda ankündigt, Gutes erwarten; vor allem rechtfertigt das Niveau der künstlerischen Form ehrliche, ernsthafte Auseinandersetzung.

-el-

(Quelle: BNN 10.2.1965)

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