„In meinem Lande Kritik zu üben, fällt nicht schwer. Manchmal sprechen Minister von ihren eigenen Fehlern mit einer Distanz, als sprächen sie von den Fehlern anderer. Kritik zu üben ist geradezu der beste Weg den Status quo zu erhalten. Das Problem ist, konstruktiv zu sein, aber nicht im alten didaktische Sinne, sondern wirklich auf eine schöpferische Weise”. Das sind Worte des jugoslawischen Filmregisseurs Dusan Maravejev, der anläßlich des Karlsruher Festivals „Junger jugoslawische Film” am Wochenende in Karlsruhe weilte. Maravejev wurde international bekannt durch seine beiden Filme „Der Mensch ist kein Vogel” und „Ein Liebesfall”.


Dusan MaravejevÖstliche Filmemacher finden in westeuropäischen Cineastenkreisen Vertrauensvorschuß. Ihren Filmen wird zunächst aus „geographische” Gesichtspunkten außerordentliche Bedeutung zugemessen. Der Regisseur ist ohnehin der zwischen Politik und Gesellschaft gefesselte Märtyrer. Dem redegewandten und die Reaktionen seiner Umgebung unablässig belauernden Maravejev, gelang es im Gespräch mit den Diskutanten des akademischen Filmclubs in Karlsruhe dieses Klischee auszuräumen: „Ich versuche Filme zu machen mit einer sehr ambivalenten Qualität, Filme mit offenen Stellen, so daß jeder in den Film eintreten, sich in ihn verwickeln lassen, etwas daraus entnehmen kann.”

Daß es mit dem Eintreten in seine Filme nicht ganz so einfach ist, wie er es darstellte, beweist die Skepsis, die seinen Filmen in der jugoslawischen Heimat entgegengebracht wird. Die einen nämlich sind der Meinung Maravejevs Filme verherrlichten den Sozialismus, die anderen sagen, er verspotte ihn. Versöhnlichere Geister sind der Ansicht, das Mißverständnis hätte in  dem geringfügigen persönlichen Engagement des Regisseurs seine Ursache, der dem Publikum gewissermaßen nur die freie Auswahl von Möglichkeiten und Zusammenhängen vorlegt. Zu der sich daraus entwickelnden dramaturgischen Verfremdung zwischen Mensch und Politik sagt Maravejev: „Diese Distanz zwischen dem Menschen und der Politik ist ein fortbestehendes Charakteristikum der Stellung des Individuums. Zwar ist jeder politisch, aber die politischen Elemente sind nicht vollkommen integriert. Es gibt einen permanenten Konflikt zwischen persönlichen Motiven und den politischen Positionen des Individuums.”

Die Persönlichkeitsspaltung zwischen politischer Überzeugung und Schwejkschem Selbsterhaltungsinstinkt, die sich durch die jüngsten politische Ereignisse im jugoslawischen Bewußtsein vertieft zu haben scheint, eröffnet genug Raum für literarische Farce. Auch Maravejev hat sich auf die gewiß oft wiederkehrende Frage nach der sozialistischen Gesellschaft eine Antwort präpariert: „Die sozilistische Gesellschaft begreift sich selbst als die Gesellschaft, die den technischen und quantitativen Blick auf die Menschen überwindet. Zugleich leidet die sozilistische Gesellschaft unter derselben Phraseologie, derselben Demagogie und theoretischen Abstraktionen wie die kapitalistische. Wenn wir die Möglichkeit einer neuen Gesellschaft diskutieren wollen, müssen wir zunächst die Möglichkeiten einer Gesellschaft diskutieren, in der die Liebe an erster Stelle steht.”

Diskutieren kommt für den Jugoslawen Maravejev gleich nach Filme machen. So wurde denn auch in der Karlsruher Universität gleich nach der Vorstellung seines Filmes „Der Mensch ist kein Vogel” diskutiert. Diskutieren will er während seines Aufenthalts in verschiedenen westdeutschen Städten auch mit Daniel Cohn-Bendit. Maravejev und Cohn-Bendit haben gemeinsame Filmpläne.


-ber-


(BNN, Nr. 97, 27.4.1970, S. 10)

Vorbedingung war, sich freizumachen von der herkömmlichen Art, einen Film zu sehen, sich freizumachen von der üblichen Form des kommerziellen Kinos. Die Anstrengung, die elf bzw. zwölf in dreieinhalb Stunden gezeigten "Underground"-Filme im wahrsten Wortsinn zu erleben, sinnlich, nicht rational wahrzunehmen, ein völlig neues Sehgefühl zu entwickeln, nahm jedoch einige der über 600 Besucher des Filmabends im AFK-Filmstudio an der Uni derart mit, daß sie bereits nach dem achten, neunten Streifen, die Säle verließen. Pannen und Pfiffe zeigten, daß Technik und Bedingungen dem Medium nicht ganz gewachsen waren. Die untergründige Happening-Stimmung verflog zudem bereits nach dem zweiten Streifen.


Apropos Publikum: so progressiv, wie es das "andere" Kino nun mal verlangt und ausdrückt, waren die meisten gar nicht. Offenheit und Aufgeschlossenheit für das filmische Experiment war verlangt - statt dessen scheint es wohl doch nur der Snobismus gewesen sein, der die meisten zur Vorführung gelockt hatte, die befangene Neugierde "up to date" zu sein.

Die drei amerikanischen Filme "Breathdeath"von Stan Vanderbeek, "Bliss" von Gregory Markopoulos und "Watts Towers" von Gerald L. Varney, zeichnen sich durch eine sehr starke, fast schmerzliche Abstraktion aus. Mit den herkömmlichen Kategorien der Filmkritik ist ihnen nicht gerecht zu werden. Das Arbeiten der "film-makers" mit Mehrfachbelichtungen, Schnitten, Collagen, Bildfeldaufteilungen und dem Verzicht auf Personen und Handlung prägen diese Streifen. Man muß sich diesem Kaleidoskop der Eindrücke hingeben, die in ihrer Vielfalt komplex sind. Am ehesten sind sie wohl zu vergleichen mit den Büchern "Stromlinienbaby" von Tom Wolfe und "Unterwegs" von Jack Kerouac: auch hier die Verarbeitung der Realität in einer völlig subjektiven weise.

Die deutschen Filmemacher hingegen beziehen ihre Motive hauptsächlich von Personen und ihren Handlungen (auch Puppen sind genehmigt). An die Stelle des Gleichzeitigkeit von optischen Eindrücken tritt die minuziöse Beobachtung von Personen, die Studie von Menschen und Bewegungen, die am Schneidetisch bei manchen erst zerlegt und nach rhythmischen, entscheidende Sequenzen zusammengesetzt wird. Andere Filmer sind konsequenter, lassen ihren Film ohne Schnitt. So Lutz Mommartz (von Beruf Bau-Oberinspektor) mit "Selbstschüssen" und "Die Treppe" (auf die konsequenterweise "Wege zum Nachbarn" hätte folgen sollen), Hellmuth Costards "Warum hast du mich wachgeküßt", Thomas Strucks "Der warme Punkt", daneben Winzentsens "Erlebnisse einer Puppe", Winkelmanns "31 Sprünge" und Werner Nekes "Jüm-Jüm". Wobei "Jüm-Jüm" und Lena Försters fotographisches Experiment "Licht im Raum" zweifellos die ästhetischsten Filme des Abends waren.

Man wird lernen müssen, man muß umdenken, das rationale Denken während der Vorführung abschalten, sich dem Film völlig hingeben, wenn man sich diese ernst zu nehmenden Experimente zu Gemüte führt. Einmal ansehen genügt nicht. Immerhin: der Abend des AFK-Filmstudios, die Repräsentativschau war, zusammen mit der erläuternden Dokumentation, eine beachtliche Hilfe, alte Klischees abzulegen und neue Perspektiven zu gewinnen, sich in die neuen Film-Kategorien einzuleben.


-hb-
(Quelle: BNN, Nr. 19, 23.1.1969, S. 13)

Als Kulisse dienten Hörsäle, Gänge, Mensaküchen und sonstige akademische Räumlichkeiten der Fridericiana, die Akteure waren Studenten und Professoren, und die Handlung ergab sich aus dem Geschehen des Wintersemesters 1964/65. erstmals haben Studenten der Karlsruher TH während dieses Semesters eine Semesterschau hergestellt. Der "Filmkreis" hatte den Einfall, der in einem geistreichen, kritischen und äußerst witzigen Filmstreifen seine konkrete Form fand. Die Semesterschau wird noch einmal heute abend um 20 Uhr im Oberen Mathematikhörsaal der TH gezeigt.

Leicht hätte dieser Filmabend über das Wintersemester eine einfache Aufzählung und Aneinanderreihung von Ereignissen werden können. Die erste Szene bei der "Uraufführung" am Dienstagabend ließ derartiges fast befürchten. Es wurden als Auftakt Ausschnitte von der Semestereröffnungsfeier in der Schwarzwaldhalle gezeigt. Der Kommentar beschränkte sich auf zurückhaltende Erklärungen über die Bedeutung einer solchen Feier. Reden wurden zusammenfassend wiedergegeben. Neuimmatrikulierte erschienen im Bild.

Doch schon die zweite Szene bewies, daß dies nur eine Skizzierung der Ausgangsposition sein sollte. Der Besuch der Studentendelegation von der Partneruniversität Villeurbane bei Lyon wurde bereits freier und kritischer kommentiert. eine mit Jazz untermalte Bildfolge deutete das strapaziöse Programm dieser drei Besuchstage an. Die Quintessenz der Unternehmung wurde in dem Satz zusammengefaßt: "Es endete wie es begann: mit Freibier."

Eine Persiflage auf die Studentenzeitung "Ventil" folgte. "Wir haben Ventil getestet..." (Ventilleser gähnen in Großaufnahme, schlafen endlich ein) "das ist der Beweis:langweiliger geht's nicht." Die Nikolausschwemme, die kurz vor Weihnachten den akademischen Nachwuchs in ein Heer weißbärtiger Kinderfreunde verwandelt, wurde ebenso mit ironischer Unbefangenheit betrachtet wie die Weisheit der Hochschularchitekten, die Treppenaufgänge vor Neubauten so anlegten, daß sie mühelos auch mit Fahrrädern oder Autos bezwungen werden können. Einblendungen impressionistischer Aufnahmen von Baustellen und Neubauten der TH bereicherten diesen gelungenen Streifen. Die Moritat von dem Studenten, der 1980 dank der immer strenger werdenden Bestimmungen des numerus clausus als einziger Studierende der Fridericiana übrigbleiben wird, bildetet einen der Höhepunkte. Und die kritische Betrachtung eines Podiumsgespräches über Bildungsfragen war der Abschluß.

"Nobody is perfect" schrieben die akademischen Amateurfilmer als Abschiedgruß auf die Leinwand. Sie haben keine Veranlassung, sich für diesen ersten "Semestertest" zu entschuldigen. Gerade der Mangel an äußerster technischer Perfektion verleiht ihrem Film einen besonderen Reiz. Wenn man den jungen Filmberichtern auch wünschen möchte, daß sie bald ihren dringend benötigten Schneidetisch bekommen. Denn bislang stehen ihnen als technische Hilfsmittel einzig Schere und Klebenband zur Verfügung.


-ü-
(Quelle: BNN, Februar 1965)

Wußten Sie , daß es an der Technischen Hochschule Karlsruhe ein akademisches Filmstudio gibt? Es ging hervor aus einer 1954 als Protestaktion gedachten Gründung eines akademischen Filmkreises. Nun, nach zwölf Jahren des Bestehens - was ist aus dem Unternehmen geworden? Nachfolgender Bericht versucht, ein kleines Schlaglicht auf das im Keller des Mathematikgebäudes entstandene Filmstudio, seine Möglichkeiten und die Ziele bzw. Wünsche des von viel Idealismus erfüllten Personenkreises hinter der Kamera werfen.

1954 wurde, als Protestaktion gegen den Tiefpunkt des deutschen Films ("Förster im Silberwald") wie an vielen Hochschulen auch in Karlsruhe ein akademischer Filmkreis gegründet, der sich zunächst nur die Vorführung von anspruchsvollen Filmen zum Ziel gesetzt hatte. Erst im Studentenhaus, dann in einem Hörsaal wurde das relativ kleine Schmalfilmrepertoire (16mm) mehrfach durchgespielt, bis man um den Normalfilm (35mm) nicht mehr herumkam. Nach jahrelangem Gebrauch einer tragbaren Vorführmaschine wurde nun 1964 mit einem Kredit, an dem die Studenten noch heute abbezahlen, und mit Hilfe des Hochschulbauamtes eine 35mm-Vorführanlage gekauft und installiert. Damit war aber nur die technische Seite eines gezielten hochschulgerechten Filmprogramms gesichert. Es fehlte an der nötigen finanziellen Unterstützung, dem breiten Interesse der zum technischen Spezialisten tendierenden Studenten und einer geeigneten Hilfestellung seitens von Hochschulinstitutionen, beispielsweise der wünschenswerte Einschluß des Filmstudios ins Studium generale oder der Anschluß an einen Lehrstuhl. Zum Verglich gibt es an den Universitäten von Freiburg und Köln und an der Technischen Hochschule Darmstadt je einen Lehrstuhl für Massenmedien, die mit den dortigen Filmkreisen so eng zusammenarbeiten, daß sich eine fruchtbare wissenschaftliche und bildungspolitische Tätigkeit ergibt.

SchneidetischDie Karlsruher Film-AG sieht sich hingegen aus finanziellen Gründen und wegen eines zwar vorhandenen, aber nicht geweckten Interesses bei den Studenten außerstande, zusammenhängende Sonderfilmwochen mit schwierigen Filmen einzelner Regisseure oder Filmperioden zu veranstalten; sie kommt über einzelne Ostblockfilme und wertvolle Streifen, die in Karlsruhe aus kommerziellen Gründen "unterschlagen" werden ("Limonaden-Joe", "Dr. Seltsam" oder "Frau in den Dünen") nicht hinaus.

Spätestens Anfang der sechziger Jahre sah man im Filmstudio jedoch ein, daß das Vorführen von Filmen nur ein Randgebiet für die akademische Filmarbeit sein kann, daß vielmehr auf die "allgemeine intellektuelle Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit" durch das Medium Film das Hauptgewicht gelegt werden müsse. Wieder begann ein Kampf um die nötigen Geräte. Auf den persönlichen Einsatz eines wohlwollenden Rektors hin spendeten der Süddeutsche Rundfunk einen kompletten Schneidetisch und die Firma Siemens eine Magnetton-Vertonungsmaschine.

Aus mageren Einspielergebnissen und gelegentlichen Geldspenden der Hochschulvereinigung erstanden die Studenten eine gebrauchte Kamera und kleinere ergänzende Geräte. Im Keller des Mathematikgebäudes entstand ein kleines Filmstudio, das 16mm- und in Kürze aus 35mm-Streifen von der Idee bis zum fertigen Tonfilm produzieren kann. Es hat sich ein Team von Studenten zusammengefunden, das alle Sachgebiete bewältigen kann. Eine kleine Bibliothek einschlägiger Filmliteratur und aktueller Informationen bilden die papierne Grundlage für die Beschäftigung mit Filmgeschichte und -theorie. Aber in welch unangemessener Weise wird die hier vorhandene potentielle Möglichkeit, Filme zu machen, genutzt. Mit hochschulinternen Wochen- und Semesterschauen konnten die Studenten ein wohlwollendes, aber zurückhaltendes Interesse von Professoren und Studierenden erwecken. Durch unkonventionelle und klischeefreie, mit Gags vermischte Darstellungsweise wird darin nicht nur die Hochschulwirklichkeit reproduziert, sondern auch kritisch betrachtet. Alles andere ist bisher Projekt geblieben. So läuft zur Zeit der Auftrag einer großen Maschinenbaufirma für eine technischen Informationsfilm. In einem Zehn-Minuten-Streifen soll die Verkehrsproblematik auf dem Hochschulgelände beleuchtet werden. Das Drehbuch für einen kurzen Spielfilm mit dem Titel "Ein Tag für andere" geht seiner Fertigstellung entgegen. Dieser Kurzfilm soll vor allem durch Kameraexperimente und Regietricks die Stadtatmosphäre und den Alltag aus der veränderten Sicht eines Menschen zeigen, der am Morgen einen entscheidenden Brief erhielt.

DrehWie groß aber die ungenutzten Möglichkeiten sind, ergab ein Gespräch mit den sehr tatenfreudigen Studenten der Film-AG. Sie bieten den mit einem Minimum an Materialkosten selbstgedrehten Film als Informationsmittel der einzelnen Institute sowohl für andere Institute als auch für die Öffentlichkeit an; durch eine Koordinierung mit dem Filmkreis und die damit verbundene Aufklärungsarbeit nach außen könnte für das Wirken der verschiedenen Fakultäten viel Verständnis geweckt werden. Weit produktiver noch ist die Aufzeichnung von technischen Vorgängen mit filmischen Mitteln und deren Verwendung zu Lehrzwecken; damit verbunden könnten die Filmstudenten sogar eine regelrechte Forschung auf noch unentdeckten Gebieten filmischer Darstellungsweisen betreiben. Aber noch scheint die richtige Einschätzung des Phänomens Film als vielfältiges Werkzeug zum Nutzen der Wissenschaft zu fehlen. Wege, wie sie in Aachen beschritten wurden, scheinen in Karlsruhe noch nicht einmal in Sicht zu sein; dort haben Studenten des Elektrotechnik Diplomarbeiten in Form von wissenschaftlichen Filmen abgeliefert. Ebenfalls nicht erkannt wurden bisher die Möglichkeiten des Industrie- und Wirtschaftsfilmes innerhalb der Vorlesungen. Wenn überhaupt Verlangen danach bestünde, würde sich die Film-AG die Mühe machen, aus dem vorhandenen Angebot jene rund zehn Prozent herauszusuchen, die den Bedürfnissen einer Technischen Hochschule entsprechen.

Es wäre jedoch falsche, wollte man das akademische Filmstudio generell in die Grenzen des Hochschulbereiches verweisen. Von - erst noch zu vergebenden - Produktionsaufträgen der Industrie abgesehen, könnte es manches zum Nutzen der Stadt Karlsruhe beitragen. wenn die "cineastische Kellerkinder" in ihrem Miniaturstudio auch noch keinen Filmhimmel eingerissen haben und das sicher auch in der Zukunft nicht tun werden, haben sie dennoch in ihrer zwölfjährigen Tätigkeit auf informatorischem und schöpferischem Gebiet gezeigt, daß man durch pausenloses Engagement für eine gute Sache Wertvolles leisten und Gültiges schaffen kann, auch wenn das angemessene Interesse und dir Würdigung der Öffentlichkeit ausbleiben.

 

-tommy-
(Quelle: BNN, 28.12.1966)

 

Im Rahmen der Filmveranstaltungen, die für Hochschulangehörige, Studenten und Schüler zugänglich sind, führt das AFK-Filmstudio an der Universität Karlsruhe eine "Tschechoslowakische Filmwoche" durch. Folgende Filme werden vorgeführt: "Intime Beleuchtung" von Ivan Passer am Montag, 4. November, "Liebe einer Blondine" von Milos Forman am Dienstag (5.11.), "Das Geschäft in der Hauptstraße" von J. Kadar am Mittwoch (6.11.), "Die buntscheckigen Engel" von Pavel Blumenfeld am Donnerstag (7.11.). Am Freitag läuft voraussichtlich "Wenn der Kater kommt" von Voztech Jasny. Im Beiprogramm werden tschechische Kurzfilme vor
allem Zeichentrickfilme gezeigt.


(Quelle: BNN, Nr. 258, 2.11.1968)

Während der deutsche Film weitgehend immer tiefer in den Schlummer billigen Durchschnitts sinkt, beginnt in Osteuropa das cineastische Erwachen. Dem polnischen Beispiel (Polanski, Munk) folgend, beginnen nun talentierte tschechische Regisseure, die Filmspalten der westlichen  Presse zu füllen. Nur mit der Publikation des Filme in den Lichtspieltheatern hapert es: die Verleihe scheuen das finanzielle Risiko, und die östliche Zensur taut nicht so schnell auf wie die Regisseure. Daher ist von bedeutenden Spielfilmen aus der CSSR - meist Debütfilme junger Regisseure - nur ein geringer Teil im Verleihgeschäft, etwa Milós Formans "Schwarzer Peter" oder Jan Nemeceks "Diamanten der Nacht". Und daher blieb es dem Karlsruher Filmclub überlassen, den bemerkenswerten tschechischen Film "Niemand wird lachen" am Montag intern vor Studenten der TH vor- und für Karlsruhe gleichzeitig uraufzuführen. Der Film lag nur in der Originalfassung vor, wurde jedoch durch deutsche Untertitel erläutert.

Der erste Spielfilm des 27jährigen Regisseurs und Nemecek-Schülers Hynek Bocan erzählt die Geschichte des jungen Dozenten für Kunstgeschichte an der Universität Prag, Dr Klima (Jan Kacer), der ein Gutachten über die wertlose Erstlingsarbeit des Möchtegern-Wissenschaftlers Zaturecky (Josev Chavlina) anfertigen soll. Aus Scheu, dem einfältigen Bittsteller die harte Wahrheit zu sagen, flüchtet es vor dessen aufdringlichen Besuchen schließlich in eine Lüge, die die Intimsphäre der Beteiligten berührt. Er verstrickt sich in die Folgen dieser Lüge, daß er seine Anstellung und die geliebte Fraue (Stepanka Rehakova) verliert und letztlich in die Schußlinie der Partei gerät.

Der Film schwankt zwischen einer etwas bizarren Komödie und einem philosophischen Lehrstück; der Zusammenstoß zwischen Individuum und Kollektiv dient als thematische Antipode zu optisch höchst wirksamen, von Kameramann Jan Nemecek sehr gut eingefangen Gags, die an Jacques Tati erinnern. Dieses Zusammenwirken gibt dem ganzen Film trotz seiner ernsten Thematik und der nicht eben zimperlichen Kritik an den (in der CSSR) herrschenden Verhältnissen eine erstaunliche Leichtigkeit, fast Beschwingtheit, die der Eindringlichkeit nicht abträglich, der Publikumswirksamkeit dagegen förderlich ist.

Wenn dieser Film auf den Mannheimer Festwochen 1965 den Großen Preis erhielt, dann völlig zu Recht; er ist ein durchaus repräsentatives Beispiel für die "Neue Welle" in der CSSR. (Die Mannheimer Preise 1963 und 1964 fielen ebenfalls an tschechische Produktionen). Daß derartige Filme aber nur zögernd ins Verleihgeschäft aufgenommen werden, daß sie nur einen kleinen Liebhaberkreis in studentischen Filmclubs erreichen, ist bedauerlich. Einen weiteren tschechischen Film zeigt der Karlsruher Filmklub am 31. Januar: "Der erste Schrei" von Jeromil Jiris.


-my-


(Quelle: BNN, 19.01.1966)

"Studentenkino - oder: Wie feiert man eine Vereinsgründung?" Diese Frage stellte sich den Mitgliedern des AFK-Filmstudios an der Universität (TH) Karlsruhe, das sich rechtzeitig zu Semesterabschluß seines alten Namens Akademischer Filmkreis entledigt hatte und sich als e.V. ins Vereinsregister eintragen ließ. Daß es eine größere Feier geben sollte, war allen klar, denn seit 13 Jahren bemüht sich das oft als "Studentenkino" apostrophierte Filmstudio, während des Semesters wöchentlich ausgesuchte Filme seinem studentischen Publikum vorzuführen und ihm daran einen tieferen Einblick in die Filmkunst zu geben.

15.37 Uhr fuhr infolgedessen der grüne Berliner Oldtimer, beschildert als "AFK-Sonderfahrt" aus dem Depot, an Bord einige Kästen Trinkbares und ein kräftiges Picknick. An der Waldhornstraße stiegen die Gäste zu, unter ihnen neben Karlsruhe Filmstudiomitgliedern an den Universitäten Freiburg und Stuttgart und vom verband Deutscher Filmclubs aus Frankfurt. Das erste Ziel der rund dreißig Mann war Rappenwört, wo das Picknick verzehrt wurde. ein halbes Dutzend der teilweise vom Vortags-FLIP-FLOP noch müden Fahrgäste erfrischte sich während des Aufenthalts im Wellenbad, bis man gegen halb sechs zum Aufbruch klingelte. bis dahin hatte es sich unter den Straßenbahnern auch schon herumgesprochen, daß es hier Coke und Fanta gäbe, und nicht schlecht wird auch der Volkswagenfahrer überrascht gewesen sein, dem an einer Ampel einer Flasche Fanta in die Hand gedrückt wurde.

Nächste Station war der Aussichtsturm am Festplatz, von wo den auswärtigen Gästen die Stadt auch mal von oben gezeigt wurde. Einheimische schauten erstaunt in den "Berliner": "Da fahren ja tatsächlich welche mit!"

In Durlach war vorübergehend Endstation. Da die geplante Wanderung über den Turmberg nach Berghausen ausfiel, mußte ein Pendelverkehr improvosiert werden, bis sich nach halb neun im dortigen "Laub" die Feier fortsetzte und mit Tanz und Gags bis weit nach Mitternacht und nach Umzug in die Tangente noch etwas länger dauerte.
-by-
(Quelle: Karlsruher Tageblatt, 18.7.67)

 

Eine cineastische Delikatesse besonderer Art konnte der akademische Filmkreis der Karlsruher TH einem großen Auditorium interessierter Studenten im Mathematikhörsaal bieten. Dank guter Verbindungen gelang es den Karlsruher Cineasten, sich eine Kopie des stark propagandistischen "DDR"-Wochenschaufilms "Der lachende Mann - Kongo-Müller" zu beschaffen, dessen Aufführung auf öffentlichen Lichtspielbühnen durch Kontroll- und Bewertungsstellen untersagt ist. "Kongo-Müller" - ein westdeutscher Militär, der über lange Zeit in den Söldnerdiensten Tschombés stand und sich für eine gewisse Art von rigoroser "Pflichterfüllung" einen Namen schuf - wurde vor etwa einem Jahr durch lancierte Alarmmeldungen verschiedener Illustrierten in das Öffentlichkeitsinteresses gerückt. Das einzig greifbare Ergebnis eines großen Knalls und hochschäumenden Aufbegehrens ist, daß Kongo-Müller von irgendeinem deutschen Filmproduzenten unter Vertrag genommen wurde, offenbar mit der Absicht, einigen wenigen Rückständigen auf dem flachen Lande, die von der Illustrierten-Presse nicht erfaßt sind, die ganze Story noch einmal einträglich zu aktualisieren. In jener Zeit jedoch, als man den Namen Kongo-Müller in einem Atemzug mit den Barbaren deutscher Vernichtungslager nannte, war man im anderen Teil Deutschlands nicht faul und schickte ein Aufnahme-Team in den Westen, den stets lachenden Kongo-Müller zu filmen und zu interviewen. Sebstvertändlich mit propagandistischen Absichten, die speziell jene vermeintliche Kriegs- und Mordtrunkenheit anvisiert, die man mit besonderer Zähigkeit der westlichen Welt unterschieben möchte.

So war das Treffen beim akademischen Filmkreis nicht nur von cineastischem Interesse, sondern auch von einer gewissen politischen Bedeutung, die in einem einführenden Referat mit recht ungeordneten Gedanken eingeschätzt wurde. Es ist wenigg ertragreich, läßt man sich bei derartigen Untersuchungen von Affekten leiten, die von sachfremden Ereignissen zu höchster Ansprechbarkeit aufgetrieben wurden. Dem Problem Kongo-Müller - ist er überhaupt das Problem? - ist wenig beigesteuert, nimmt man diese Filmmontage zum Anlaß pauschaler Feststellungen, die in einem zweiten Referat  in der höchst unoriginellen Analyse gipfelten, daß die westdeutsche Gesellschaft restaurativ und reaktionär sei. Diese Erkenntnis entnahm der Redner der Tatsache, daß man im Westen den "DDR"-Streifen mit Acht und Bann belegte und den weit destruktiveren Film "Africa Addio" des Italieners Jacopetti mit dem "Prädikat wertvoll" auszeichnete. Es ist immerhin schon sehr verwegen, daß man von der Zufälligkeit (Jacopetti filmte auch den Kongo-Müller) auf politische oder ideologische Kausalitäten schließt. Noch ist ein einzelner Film nicht geeignet, mit ihm Politik zu machen. Daß die Ratschlüsse der deutschen Bewertungsstellen und die Zensurbehörden mitunter einsame und unbegreifliche wege gehen, ist richtig und in diesem Falle auch einer der angemessenen Vorwürfe.

Um jedoch der Frage Kongo-Müller näherzukommen, ist es nötig, von der Person selbst abzusehen und sich  zunächst mit dem Söldnerdienst als solchen zu beschäftigen. Dazu wäre eine Überprüfung der Situation in Afrika erforderlich und nicht zuletzt die Gewißheit über die tatsächlichen Vorgänge bei Müllers Feldzügen. Würde sich bei Erfüllung all dieser Voraussetzungen ein Beitrag von Rohheit und Brutalität erhalten, müßte man diesen wieder im Hinblick auf die Dienste eines weißen Söldners in Afrika betrachten. Aus diesem Grund wäre Kongo-Müller zuerst als Söldner zu verurteilen, bevor man ins Detail geht.

Einer der Referenten bezeichnete die beiden aufgeführten Filme ("Der lachende Mann" und "Africa Addio") als Schwarz-Weiß Malerei in Rot. Diese Kennzeichnung war gut und zutreffend: Schwarz-Weiß präsentierte sich der "DDR"-Film und mobilisierte rote Tendenzen, blutrot lief der Jacopetti-film ab und bekräftigte Vorurteile zwischen Schwarzen und den Weißen. Bei behutsamerem und bedachterem Vorgehen kann man in diesen Kontrasten ein weit größeres Spektrum erblicken, als es durch die Referenten des akademischen Filmkreises möglich war.

(Quelle: BNN, Nr. 137, 14.6.1967)

 

Beachtliches und Zweifelhaftes hatte der Akademische Filmkreis der Technischen Hochschule in einer Sonderveranstaltung zusammengefaßt. Zu Unrecht waren die Erwartungen der vielen studentischen Besuche durch die Vorankündigung gerade auf den Vorfilm gelenkt worden, dem die Nichtfreigabe zur öffentlichen Vorführung durch die freiwillige Filmselbstkontrolle zu unverdienter Publizität verholfen hat. Es handelt sich um den Kurzfilm des jungen Regisseurs Horst Manfred Adloff "Die Wechsler um Tempel", den den Anspruch erhebt, die falschen Propheten im Tempel Gottes, die dort nur Macht suchen" anzuprangern und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Kirche im Laufe der Jahrhunderte zu sein. Mehr als ein Zerrbild ist daraus nicht geworden. Nichts ist leichter, als polemisch aus dem Zusammenhang gerissene Bibelzitate mit einem Trommelfeuer aus Schreckensszenen der Inquisition, der kriegerischen Wirklichkeit der Kreuzzüge, der Kriegführung durch Vertreter des christlichen Abendlandes überhaupt bis hin zum Vietnam-Krieg zu konfrontieren. Diese Art "Kritik" rennt offene Türen ein und, zumal wenn sie sich auf den Index bezieht, kommt sie um einbiges zu spät. ernsthaft kann man diese Auseinandersetzung schon deshalb nicht nennen, da schon nbei der ersten Einstellung die Tendenz dieses Pamphlets deutlich wird: Papstansprache und österliche Feierlichkeiten auf dem Petersplatz werden mit Massenhysterie und Massenmißbrauch moderner totalitärer Diktaturen eins gesetzt.

"Einmal wirklich leben" (Jukru) hieß der Titel des Hauptfilms - ein Werk des auch in Deutschland durch die Filme "Rashomon" und "Die sieben Smurai" bekannten japanischen Regisseurs Akira Kurosawa aus dem Jahre 1952. Aus dem Titel ergibt sich zugleich die unausgesprochen über dem ganzen Film stehende Frage: was ist dieses wirkliche Leben? Dies zu ergründen und im letzten Moment zu erhaschen sucht der kleine, vertrocknete Bürokrat Watanabe, der jahrzehntelang ein steriles Leben zwischen Aktenbergen geführt hat, ohne Teilhabe an der Wirklichkeit. Die plötzliche Erkenntnis des baldigen Todes führen bei Watanabe zur Besinnung auf das wirkliche Leben. Die Einstellung des Röntgenbildes am Anfang ist das Movens der Handlung, die nun abläuft. Die Suche nach dem wirklichen Leben, dieses klassische Thema hat den Regisseur auf das klassische Vorbild des "Faust" zurückgreifen lassen. Wie diesen führt er seinen Helden in der Sucht, möglichst viel vor dem Tode zu erhaschen und die verzweifelte Gewißheit zu übertönen durch alle lauten Vergnügungen. Wie Faust findet er den Sinn schließlich in der Erfüllung einer Pflicht, im Dienst an dem ihm von Amts wegen anvertrauten Nächsten, den er in seinem toten Beamtendasein ignoriert hatte. An der Stätte seines Wirkens, einem mit Zähigkeit der letzten Kraft gegen den Widerstand aller Instanzen erbauten Kinderspielplatz stirbt er. Mütter und Kinder, denen das Werk zugute kommt, mythisieren den Toten, die niemals kompetenten Beamtenkollegen versuchen sein Werk zu verkleinern. Wo liegt die Wahrheit? Ist es nur in einer Ausnahmesituation wie der des totgeweihten Watanabe möglich, wirklich Mensch zu sein, wirklich zu leben? Mit dieser Frage entläßt der Film trotz einiger szenischer Längen vom Bedenklichen her bis zum letzten Augenblich spannend, den Zuschauer.
-rz-

 

(BNN, 13.5.66)

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