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Coppola
YOU'RE A BIG BOY NOW erzählt die amüsante Geschichte von Bernard (Peter Kastner), einem Muttersöhnchen, das auf Wunsch seines Vaters nach New York ziehen soll, um sich dort "die Hörner abzustoßen und ein Mann zu werden". In New York wird Bernard durch ein Übermaß an (sexuellen) Möglichkeiten angeregt. Er verschmäht die offensichtlichen Angebote Amys (Karen Black) und verfällt der männerhassenden Schauspielerin Barbara Darling (Elizabeth Hartman). Schon die erste Nacht endet im Totalfrust. Als seine Mutter und Amy nach dem verlorenen Sohn suchen, sieht er die drohende Gefahr der Bevormundung und nimmt Reißaus ...
Nach der Premiere von BIG BOY sah man in Hollywood ein neues Genie in der Nachfolge von Orson Welles heraufziehen. Coppolas "eindeutige Parteinahme für den Emanzipationsdrang einer aufbrechenden jungen Generation gegen die verkrusteten Verhaltensmaßregeln gutbürgerlichen Benehmens hatte zwar nicht die Radikalität von Dennis Hoppers EASY RIDER, der den Glauben an den amerikanischen Traum gleich begrub, aber er feierte Bernards Ausbruch aus den Klauen elterlicher Bevormundung als Punktsieg des "poppigen feelings" über neurotisches Spießbürgertum." (Ulli Weis in "Das Neue Hollywood")
BIG BOY wurde zum Auslöser einer Reihe von Filmen, die sich mit spöttischem Anstand über biedermännische Augenwischerei hermachten; ein Trend, von dem auch Mike Nichols' THE GRADUATE mit Dustin Hoffman profitierte. Wenn sich BIG BOY auch nicht explizit auf Filme wie A HARD DAY'S NIGHT oder THE KNACK (beide von R. Lester) stützt, so sind zumindest gewisse "Affinitäten zur Neuen Welle, zu Richard Lester und John Cassavetes so offensichtlich, dass zumindest von einem Gleichklang im Zeitgefühl und von einer gewissen Revolte gegen die Standards einer längst industrialisierten Filmsprache auszugehen ist. Es ist eine Bewegung, an der Coppola teilhat." (Peter W. Jansen in "Francis Ford Coppola" -- Reihe Film 33, Carl Hanser Verlag)
Die Ernüchterung - FINIAN'S RAINBOW
YOU'RE A BIG BOY NOW war erfolgreich gelaufen und Coppola arbeitete gerade an einem Drehbuch, aus dem später THE CONVERSATION werden sollte, als er von Warner-Seven Arts das überraschende Angebot erhielt, das populäre Musical "Finian's Rainbow" für die Leinwand zu adaptieren. Coppola willigte ein, obwohl er sich vorgenommen hatte, nicht zum Studioregisseur zu werden und in die Fänge der großen Produktionsgesellschaften zu geraten. (Die Aussicht auf ein sicheres Studiogehalt nach dem Reinfall an der Börse muß ausschlaggebend gewesen sein; in Zukunft würde Coppola noch öfter nach einem finanziellen Reinfall einen Studiojob annehmen müssen.)
Zum Zeitpunkt der Adaption war das Musical
hinsichtlich seiner gesellschafts- und ideologiekritischen Aspekte schon recht veraltet (es hatte
seine Uraufführung bereits im Januar 1947 erlebt);
dennoch glaubte Coppola, die Oberflächlichkeit
und Spannungslosigkeit des Skripts durch eigene
Arbeit wieder ausgleichen zu können - eine
Rechnung, die letztendlich nicht aufging. Die Dreharbeiten waren von Kompromissen und
Auseinandersetzungen geprägt. So hatte
Coppola beispielsweise eigene
Choreografievorstellunqen, die nicht mit denen von Fred
Astaire übereinstimmten, worauf dessen
Choreograph die Produktion verließ.
Hinzu kamen finanzielle Probleme: Coppola wollte
den Film on location drehen, um der Geschichte
einen authentischeren Rahmen zu geben. Die
Studiobosse verlangten jedoch, dass aus
Kostengründen in den noch stehenden Kulissen
von CAMELOT gedreht wurde. Für
Außenaufnahmen standen nur acht Tage zur Verfügung.
Das gewonnene Material aus diesen acht Tagen
versuchte Coppola krampfhaft am Schneidetisch
in den Film zu integrieren, um ihm doch noch
etwas Realismus zu geben. Zahlreiche
Anschlussfehler waren das Ergebnis.
Auch nach den Dreharbeiten waren die
Entäuschungen nicht vorbei: das Studio blies
den fertigen Film von 35 auf 70 mm auf, um ihn an
den Kinokassen besser verkaufen zu können. Bei
diesem Vorgang hatte wohl niemand an die
unterschiedlichen Bildformate gedacht, so dass bei allen
Tanznummern die Füße von Fred Astaire
abgeschnitten waren - für ein Musical unverzeihlich.
Auf dem Weg In die Unabhängigkeit: THE RAIN PEOPLE (1969)
Mit FINIAN'S RAINBOW hatte Coppola die unangenehme Erfahrung der ständigen Bevormundung durch ein großes Studio gemacht. Vom Aufbegehren gegen Bevormundung hatte auch sein vorheriger Film BIG BOY gehandelt; für die Zukunft nahm sich Coppola nun vor, sich nie wieder von jemandem bestimmen zu lassen. Seinen nächsten Film - THE RAIN PEOPLE - wollte er nun endlich on location drehen, ausserhalb der künstlerisch einengenden Bedingungen der Studios.
"Coppola hatte THE RAIN PEOPLE aus einem Skript entwickelt, das er 1960 für eine "creative writing class" am College unter dem Titel "Echoes" begonnen hatte. Es war die Geschichte von drei Frauen, die ihre Männer verlassen." (Peter W. Jansen in "Francis Ford Coppola", Reihe Film 33, Hanser Verlag) Ihren Ursprung hatte die Idee in einem Ereignis in Coppolas Kindheit: seine Mutter hatte nach einem heftigen Streit mit ihrem Mann einmal für zwei Tage das Haus verlassen. "Sie fuhr zum Haus ihrer Schwester und blieb dort für zwei Tage, ohne uns zu sagen, wo sie war. Sie sagte, sie hätte in einem Hotel übernachtet. Da hat irgendetwas in mir reagiert, wissen Sie, die Vorstellung, dass eine Frau fortgeht und in einem Hotel übernachtet. Ich stellte mir vor, wie sie in diesem Hotel saß und Angst hatte. Ich glaube, dass die Ideen, die man hat und aus denen später etwas wird, so etwas ähnliches sind wie zufällige Schnappschüsse, wie eine zufällige Stimmung."
Mit etwas finanziellem Rückhalt von Warner und seinem Honorar von FINIAN'S RAINBOW stellte er ein Team von rund zwanzig Mitarbeitern auf, viele von ihnen seine Freunde, und kaufte einen Kleinbus, in dem er ein bescheidenes Filmstudio installierte. Dieses sog. Cinemobile sollte ihm technische und räumliche Unabhängigkeit von Hollywood garantieren.
Natalie (Shirley Knight) ist eine Frau, in deren Leben alles nach Plan verlaufen ist. Sie hat einen verständnisvollen Mann, von dem sie ein Kind erwartet. Dennoch verlälsst sie ihn eines Morgens. Einmal im Leben möchte sie frei sein, fünf Minuten, eine halbe Stunde, einen halben Tag, ... Sie will ihren Platz alleine finden. Ihre Schwangerschaft macht alles noch komplizierter, fürchtet sie sich doch vor der großen Verantwortung. Mit ihrem Auto fährt sie durch Amerika, die diffusen Spuren von Freiheit und Unabhängigkeit verfolgend. Unterwegs nimmt sie einen Anhalter mit: Jimmie Kilgannon (James Caan), den ehemaligen College-Footballstar, genannt Killer. Killer ist in Folge einer Sportverletzung geistig behindert und verhält sich wie ein zurückgebliebenes Kind. Zuerst möchte Natalie Killer wieder loswerden - zu sehr verlangt er ihr die Verantwortung ab, vor der sie eigentlich hatte fliehen wollen. Doch allmählich entwickelt sich eine Beziehung, die jedoch mit einer Katastrophe endet, als sich ein Fremder - der Polizist Gordon (Robert Duvall) - zwischen die beiden drängt.
Im Mittelpunkt des Films steht die von Killer erzählte Fabel von den Regenmenschen, "who are made of rain. When they cry, they disappear altogether because they cry themselves away."
In kaum einem anderen Film arbeitet Coppola so
deutlich seine persönlichen ikonografischen
Notate heraus: das Wasser (der Regen), die Zeit
und das Geld.
Die Zeit spielt eine wichtige Rolle: für Killer gibt es
keine messbare Zeit mehr, nur noch die Zeit, die
ihm andere Menschen zuwenden. Für Natalie
bedeutet die Zeit, die sie für sich selbst gewinnt,
so etwas wie Freiheit.
Die Zeit bestimmt auch den Erzählrhythmus des
Films: THE RAIN PEOPLE ist ein road movie mit
langen Einstellungen. Coppola nimmt sich viel
Zeit, erzählt langsam. Am Anfang zeigt er den
Regen und führt ihn als Handlungselement ein.
Der Regen wird Natalie auf ihrer Suche begleiten
und mit dem strömenden Regen verströmt auch
die Zeit; der Regen lässt ein Gefühl für die Zeit
entstehen.
Die Dreharbeiten fanden - gemäß der Vorlage
eines road-movies - fast ausschließlich on the
road statt. Zusammen mit seinem Team fuhr
Coppola vier Monate lang durch insgesamt
achtzehn Bundesstaaten, eine Reise, die über
weite Strecken der von Natalie und Killer
entspricht. Diese Übereinstimmung war Coppola
wichtig: für Natalie ist der Ausbruch aus dem
Alltag eine Loslösung, der Versuch einer
Selbstfindung. Für das Filmteam sollte es eine ähnliche
Erfahrung werden; deshalb durfte auch niemand
seine Familie mitnehmen. (Für sich selber machte
Coppola eine kleine Ausnahme...)
Kameramann Bill Butler erinnert sich: "Die Idee
war, dass wir in New York starteten und so weit
fuhren, wie wir wollten. Coppola hatte einen
großen Campingbus, in dem wir einen Schneidetisch eingerichtet hatten und außerdem gab es
noch mehrere Wohnmobile." Coppolas Frau
Eleanor fuhr zusammen mit den Kindern in einem
VW-Bus hinterher.
Im Team befand sich auch George Lucas, der schon bei FINIAN'S RAINBOW Coppolas Assistent gewesen war. Diesmal war Lucas zweiter Kameramann, Art Director, Produktionsleiter und Tontechniker in einer Person. Außerdem entschloss sich Lucas, begleitend zu den Dreharbeiten ein filmisches Tagebuch à la cinema verite zu drehen. Das Ergebnis war FILMMAKER, ein etwa halbstündiger Dokumentarfilm, ein persönliches Statement über die täglichen Spannungen und den Stress einer Filmproduktion, die ständig auf Achse ist.
Coppola war natürlich begeistert, zumal er
nicht nur gerne hinter der Kamera, sondern auch
gerne vor der Kamera steht. In FILMMAKER zeigt
er sich als der bärtige Prophet, der dem veralteten
Studiosystem den Untergang vorhersagt.
In einem wüsten Telefongespräch mit einem
Produktionsleiter von Warner Bros. tobt er: "Das
System wird unter seinem eigenen Gewicht
zusammenbrechen. Es kann gar nicht anders."
FILMMAKER ist eine der besten
Dokumentationen, die je über die Entstehung
eines Films gedreht wurden und wird noch heute
an den Filmklassen der UCLA als Beispiel für
einen hervorragenden Dokumentarfilm gezeigt.
Die letzte Szene zeigt alle Schauspieler und das Kamerateam vor ihrer Karawane von Ausstattungs- und Wohnmobilen. Das ganze macht den Eindruck einer Theatergruppe aus dem 19. Jahrhundert, die von einer Tournee aus der Provinz zurückkehrt.
Die Arbeit mit dem Unfertigen scheint einen
besonderen Reiz auf Coppola auszuüben.
Improvisation war während der Dreharbeiten ein
wichtiger Faktor; jedoch nicht hinsichtlich Dialogen
und Plotentwicklung (hier war das Buch bereits
präzise ausgearbeitet; präziser zumindest als das
zu späteren Filmen, wie z.B. zu THE
CONVERSATION). Wichtig war vielmehr, daß
die von Coppola gewählte Drehform (on the road)
ihm viel Spielraum bei der Auswahl der Drehorte
ließ. Außerdem hatte er die Freiheit, Ereignisse der
Reise spontan als Hintergrundelemente in seine
Geschichte einzubauen (z. B. die Parade, in die
sich Killer kurzfristig einreiht.)
Was in seinen vorherigen Filmen FINIAN'S
RAINBOW und BIG BOY - wo sich Coppola
nicht gut genug vorbereitet hatte - noch ein Manko
gewesen war, erwies sich hier als Kunstgriff, um
der Geschichte mehr Wirklichkeitsnähe zu geben.
Abgesehen davon, dass Coppola beim
Filmemachen ständig in Zeit- und Geldnot ist (in
seinen Filmen sind Zeit und Geld oft
gleichbedeutend), scheint er aus der Arbeit mit
dem Unfertigen seine Kreativität zu beziehen.
(Die Schnittfassung von APOCALYPSE NOW,
die er 1979 in Cannes vorstellte, präsentierte er
als work in progress.)
Ein ähnlicher Rhythmus prägt auch seine rastlose
Lebensweise. Georges Lucas' Ehefrau Marcia
(Cutterin von TAXI DRIVER und ALICE
DOESN'T LIVE HERE ANYMORE) über
Coppola: "Es ist nie langweilig mit ihm. Es sind
immer zehn oder zwanzig oder dreißig Leute da,
irgendeiner setzt sich ans Klavier und klimpert, ein
paar Kinder tanzen herum und die Intellektuellen
sitzen da und sind in ein Gespräch über Kunst
vertieft. Sein Leben befindet sich in einem
konstanten Zustand von Wandel."
Der Traum von American Zoetrope
"Das wesentliche Ziel der Gesellschaft ist es, sich in den verschiedensten Bereichen des Filmemachens zu engagieren und dabei die begabtesten jungen Talente und die modernste Technik und Ausrüstung einzusetzen, die auf dem Markt zu haben sind." (aus einer Ankündigung zur Gründung von American Zoetrope)
Während der Dreharbeiten zu THE RAIN PEOPLE hatten Francis Coppola und George Lucas die Vision einer "Filmkommune, deren Mitglieder bis zu dreißig Jahre alt waren, Ideen und Ausrüstung in der grünen Einsamkeit von Marin County (nahe San Francisco) miteinander teilten und damit eine friedliche Alternative zu der sinnlosen Verschwendung von Hollywood demonstrierten. Das Ziel bestand darin, einen Hafen zu schaffen, in dem Verträge unmoralisch und Agenten nebensächlich waren, eine ländliche Basis statt einer sterilen Reflexion der Leere von Los Angeles, eine Zuflucht, in der junge und unerfahrene Filmemacher der Philosophie Coppolas folgen konnten: "Film ist die endgültige Form des Ausdrucks.""
Nachdem sie THE RAIN PEOPLE bei Warner abgeliefert hatten, reisten Coppola und sein Produzent Ron Colby nach Dänemark und besuchten Lanterna Films, ein kleines Filmstudio, das eine der vollständigsten Sammlungen von Laternae Magicae und anderen frühen Filmprojektoren beherbergte. Das Studio lag etwa fünfzig Meilen außerhalb von Kopenhagen in einem wunderschönen Landhaus mitten im Grünen. Die einzelnen Wohnräume waren zu Schneidekabinen umgebaut und mit der modernsten Ausrüstung ausgestattet. In einer Scheune war die Tonmischanlage untergebracht. Coppola war begeistert; Lanterna Films war genau das, was ihm vorschwebte. Er und Colby beschlossen, dieses Environment nach Marin County zu transferieren. "Ich glaubte, dass die neue Technologie genau die magische Zutat sein würde, die uns den Erfolg garantieren würde. Wir hatten die naive Vorstellung, dass es die Ausrüstung war, die uns die Produktionsmittel verschaffen würde. Natürlich lernten wir mit der Zeit, dass es nicht die Ausrüstung, sondern das Geld war."
Auf der Heimreise machte Coppola
Zwischenstation auf der Fotokina in Köln, wo er aus einer
Laune heraus ein komplettes Tonmischstudio für
80.000 Dollar bestellte - ohne das Geld, einen
Platz für die Anlage oder Filme zu haben, die er
hätte nachvertonen können.
Dieser sehr intuitive und spontane Umgang mit
Produktionsmitteln würde ihn bei zukünftigen
Projekten immer wieder in Schwierigkeiten bringen.
Eine treffende Umschreibung der Coppolaschen
Produktionspolitik lieferte sein alter Freund und
Kollege John Milius (Drehbuchautor von
APOCALYPSE NOW): "Wie schon Talleyrand
über Napoleon sagte: er ist eben so groß, wie
man ohne Tugend groß sein kann."
Im Juni 1969 begannen sich Coppola, Lucas und
Mona Skager (Produktionsassistentin bei RAIN
PEOPLE) im Raum San Francisco nach einem
großen viktorianischen Haus umzusehen, das als
Kopie des Lanterna-Gebäudes in Betracht kam.
Als passenden Angebote ausblieben und die Zeit
immer mehr drängte (die teure Tonanlage würde
bald eintreffen), unterschrieb Coppola ohne
Zögern einen langfristigen Mietvertrag für ein
freigewordenes Lagerhaus in der Innenstadt von
San Francisco. Um das nötige Geld zusammenzukratzen, musste er sein eigenes Haus
verkaufen.
American Zoetrope war geboren, aber Lanterna
Films war es nicht. (Einer Kopie der Lanterna-Studios kam etliche Jahre später
George Lucas mit seiner in den Weinbergen von Lucas-Valley
gelegenen Skywalker-Ranch viel näher.... Lucas-Valley hieß übrigens
schon vor George Lucas so ...)
Den Einfluss Lanternas reflektierte jedoch der
Name der neuen Company: ein Zoetrope ist ein
stroboskopischer Zylinder, der bewegte Bilder
entstehen lässt, während er sich um seine eigene
Achse dreht. Der griechische Ursprung von
Zoetrope bedeutet außerdem "lebendige
Bewegung", nach Coppolas Ansicht genau das
richtige Symbol für seine dynamische junge
Filmgesellschaft.
Coppola war überzeugt, dass Zoetrope die neue Elite des Filmgeschäfts werden würde. Lucas sah darin eher eine Neugruppierung des Dreckigen Dutzend von der Filmklasse der UCLA; er lud John Milius, Matthew Robbins, Hal Barwood, Willard Huyck, Gloria Katz und Walter Murch ein, sich dem Abenteuer anzuschließen. Die Idee einer verschworenen Gemeinde von Filmemachern, die den moralischen Abgrund von Los Angeles hinter sich ließ, faszinierte ihn.
Lucas erinnert sich an die ersten chaotischen Tage von Zoetrope: "Es war, als wollte man den Kindern zu Weihnachten ein Fahrrad zusammenbauen und wüsste, dass sie in einer Stunde aufwachen. Man muß sich unheimlich beeilen, alles geht schief und die Gebrauchsanweisung ist auch noch verschwunden."
Doch Coppola hatte große Pläne für sein Studio. Am 4. November 1969 wurde American Zoetrope ins Handelsregister eingetragen. Der einzige Aktionär der neuen Gesellschaft war Coppola selber; gleichzeitig war er Präsident. Lucas war Vizepräsident und Mona Skager Schatzmeisterin. Zusammen bildeten die drei ein ungewöhnliches Direktorium: Coppola schäumte über vor Begeisterung, Skager blieb cool und skeptisch und Lucas war laut ihrer Einschätzung ein "schüchterner, ernsthafter Mensch, eher unauffällig."
Über Coppolas Firmenpolitik, junge Filmemacher -
häufig Absolventen der Filmschule - unentgeltlich
für sich arbeiten zu lassen, kam es zur
Auseinandersetzung: nach Ansicht Coppolas
hatte Roger Corman einen Fehler gemacht, weil er
begabte junge Filmemacher nicht unter Vertrag
genommen und an sich gebunden hatte, so dass
viele gute Regisseure letztendlich umsonst für ihn
gearbeitet hätten. Diesen Fehler wollte er nicht
machen.
Coppolas Wertesystem schien sich gewandelt
zu haben: war "Vertrag" noch vor einigen Jahren
ein schmutziges Wort für ihn gewesen, wollte er
nun "eine Menge begabter junger Filmemacher
umsonst verpflichten, hoffen, dass einer ihrer Filme
ein Hit wird und das ganze Studio auf dieser
Basis aufbauen." (Lucas)
Trotzdem wirkte Coppolas Enthusiasmus ansteckend. Gerüchte an den Filmschulen der UCS und der UCLA besagten, daß sich die Zukunft der Filmindustrie bei Zoetrope abspiele. Coppolas kleines Studio war ein Sammelbecken neuer Ideen, mit denen er zu Warner Bros. ging und sich um eine Finanzierung bemühte.
Eines der neuen Filmprojekte war THX 1138, die Spielfilmfassung des Studentenfilms THX 1138: 4EB (ELECTRONIC LABYRINTH), den George Lucas 1967 gedreht hatte und der den ersten Preis beim Third Student Film Festival gewonnen hatte.
THX ist ein in klinisches Weiß getauchter Science-Fiction Film, der in einem unterirdischen Überwachungsstaat spielt, dessen Bewohner ihre Gefühle durch die Einnahme von Drogen regeln und keinen Sex mehr haben. Als THX 1138 (Robert Duvall) und seine Frau LUH 3417 (Maggie McOmie) eines Tages ihre Drogen nicht mehr nehmen, entdecken sie ihre Sexualität. LUH wird schwanger und, als dies herauskommt, getötet. THX wird ins Gefängnis geworfen, den white limbo, einen unendlich weiten, perspektivelosen weißen Raum, dessen Bewohner wirr vor sich hinreden. Als THX die Flucht gelingt, startet das System eine gnadenlose Jagd auf ihn.
Die Themen von Lucas' Debütfilm sind altbekannt: das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, die Notwendigkeit, einer bedrückenden Umgebung zu entfliehen und Verantwortung zu übernehmen, nicht nur in zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern auch für moralische Konsequenzen. Lucas porträtiert eine repressive Gesellschaft, die ihre Bürger einlullt, ihre zukünftigen Generationen im Labor züchtet und Minderheiten auf den Stand von Untermenschen reduziert. Hauptmotiv des Films ist der white limbo, der keine anderen Schranken hat als die Ängste seiner Insassen.
THX 1138 war Coppolas Vorzeigeobjekt, sein
Beweis, dass das Studio funktionierte. Er trug den
Film zu Warner Bros. und führte ihn dem
Verantwortlichen für Filmdeals - Ted Ashley - vor.
In seiner Tasche hatte er gleich noch sieben
weitere Projekte, für die er sich eine Finanzierung
erhoffte. Doch als Ashley den Film gesehen hatte,
wurde er so wütend, dass er den ganzen
Zoetrope-Handel platzen ließ und sich weigerte,
auch nur einen Blick in die anderen Drehbücher zu
werfen (Zwei von ihnen verfilmte Coppola später als THE
CONVERSATION und APOCALYPSE NOW).
Dieser Tag ging als Schwarzer Donnerstag in die
Geschichte von American Zoetrope ein. Es war
ein Schlag, von dem sich die kleine Gesellschaft
nie wieder ganz erholte. Lucas war verzweifelt:
man hatte ihm seinen Film weggenommen und ihn
verspottet (Warner nahm THX - nachdem man ihn
schon finanziert hatte - natürlich doch noch in den
Verleih, allerdings nicht, ohne vorher an dem Film
herumzuschneiden; dieser Schlag gegen seine
kreative Freiheit verletzte ihn mehr, als er zugeben
wollte). Außerdem fühlte er sich für das Schicksal
von Zoetrope mitverantwortlich.
Coppola floh nach Europa, um seine Wunden zu
lecken.
THX lief zunächst gar nicht so schlecht, reduzierte
sich dann aber auf den Status eines Kultfilms, der
höchstens noch in den Mitternachtsvorstellungen
der Programmkinos gezeigt wurde. American
Zoetrope produzierte noch für eine kurze Zeit
Commercials, Pornos, Lehr- und Dokumentarfilme,
bevor das Studio 1970 geschlossen wurde.
In dieser persönlichen und finanziellen Krise
erreichte Coppola das rettende Angebot: er sollte
im Auftrag von Paramount Mario Puzos Bestseller
THE GODFATHER verfilmen.
Die Zerstörung der Persönlichkeit:
THE CONVERSATION (1973)
Nach dem gescheiterten Experiment mit American
Zoetrope und dem kassensprengenden Erfolg
des PATEN unternahm Francis Coppola einen
zweiten Versuch, sich (wenigstens teilweise) vom
etablierten Studiosystem zu lösen. 1972 gründete
er zusammen mit seinen Regiekollegen William
Friedkin und Peter Bogdanovich die Director's
Company. Paramount beteiligte sich mit 31,5
Millionen Dollar und sicherte sich damit die Hälfte
der erwarteten Box-office Gewinne.
Dafür verpflichtete sich das damals
hoffnungsvollste Triumvirat des Neuen Hollywood, in den
kommenden zwölf jahren insgesamt zwölf Filme
zu drehen. Die ersten Produkte der Company
waren PAPER MOON von Bogdanovich und
THE BUNKER HILL BOYS von Friedkin.
Coppolas Beitrag war THE CONVERSATION,
ein persönlicher Film, an dessen Drehbuch er
bereits seit 1966 gearbeitet hatte.
Mittagspause auf dem Union Square in San Francisco. Ein Paar schlendert über den Platz, vertieft in ein Gespräch. Anonym und geschützt inmitten der vielen Menschen glauben sie sich an einem Ort der größtmöglichen Öffentlichkeit und zugleich der größtmöglichen Intimität. Doch gerade diese Intimität wird systematisch zerstört: das Gespräch des Paares wird abgehört, von allen Seiten sind Mikrofone auf die beiden gerichtet. Leiter dieser Aktion ist Harry Gaul (Gene Hackman), ein gefragter Abhörspezialist und Meister seines Fachs. In seinem Tonstudio fährt Harry mehrere Aufnahmen des Gesprächs zu einem Band zusammen. Dieses bringt er seinem Auftraggeber. Als dieser jedoch nicht da ist, nimmt er das Band wieder mit. In seiner Werkstatt überprüft Harry noch einmal die Tonbänder. Aus dem bisher vom Straßenlärm übertönten Satz "He'd kill us if he got the chance." glaubt Harry die Anzeichen einer bevorstehenden Gewalttat herauszuhören. In ihm wächst der Verdacht, durch seine Arbeit einem Verbrechen Vorschub zu leisten. Allmählich gibt er seine passive Betrachterrolle auf und verstrickt sich immer mehr in einem Klima aus Misstrauen und Bedrohung.
THE CONVERSATION ist ein Film über den
Verlust von Intimität und die Zerstörung der
Persönlichkeit, also ein Film über Gewalt.
Die Gewalt ist zunächst nur ein Verdacht, eine
Befürchtung, die aus dem Satz "He'd kill us if he
got the chance." erwächst und den ganzen Film
über präsent ist (durch das wiederholte Abhören
des Bandes).
Harrys Aufgabe ist es, das Leben anderer
Menschen offenzulegen. Dass er es dabei sogar
zerstören kann - bei einer früheren Abhöraktion
waren aufgrund seiner Arbeit drei Menschen
ermordet worden - verdrängt er. Zweifel an seiner
Tätigkeit darf er sich nicht leisten. Sein
wirkungsvollstes Schutzschild ist die Anonymität. Die
Menschen, die er im Auftrag anderer belauscht,
bleiben für ihn Objekte; er will und darf sie nicht
kennen.
Die Angst vor Kontakten prägt auch sein
Privatleben: niemand kennt seine Telefonnummer,
niemand hat einen Zweitschlüssel zu seiner
Wohnung; als einmal beide Tabus verletzt
werden, reagiert er mit Panik.
Coppola hat THE CONVERSATION zwischen
den beiden PATEN Filmen gedreht. In allen dreien
arbeitet er mit seinen bevorzugten Ikonen.
In THE CONVERSATION geht es um die
zerrissene Familie. Im ersten Teil des PATEN hatte
sich die Zerstörung der Familie (von innen heraus)
bereits angedeutet: Michael Corleone hat im
Machtkampf um die Stellung der Corleones den
Rat seines Vaters, die Familie als höchstes Gut zu
beschützen, missachtet und seinen Schwager
ermorden lassen (in DER PATE. TEIL II wird er
sogar seinen Bruder erschießen lassen).
Harry Caul geht sogar noch weiter: aus Angst vor
Verwundbarkeit hat er erst gar keine Familie
gegründet. Er hat jegliche Privatsphäre und
Intimität aus seinem Leben verbannt. Als
Abhörspezialist weiß er, wie angreifbar und
verwundbar sie den einzelnen machen kann.
Wie Natalie in THE RAIN PEOPLE und Michael
Corleone ist auch Harry Caul eine isolierte Figur.
In THE CONVERSATION geht es außerdem um Zeit (die Zeit, die gegen Harry arbeitet) und um Geld (das als Motiv für die Gewalttat angesehen werden kann).
Auch in den PATEN Filmen geht es um Zeit (die
Sehnsucht nach einer vergangenen, besseren
Zeit) und um Geld (wobei Geld vom umfassenderen Begriff Macht abgelöst wird).
Das Wasser spielt ebenfalls eine Rolle und wird,
wie in THE RAIN PEOPLE und THE CONVERSATION,
mit Gewalt in Verbindung
gebracht: als Michael Corleone am Ende von THE
GODFATHER. PART I seinen Sohn taufen läßt,
und gleichzeitig die Feinde der Familie liquidiert
werden, wird die Verbindung von Wasser und
Blut zunächst mittels einer Parallelmontage
hergestellt.
Als Harry Gaul in THE CONVERSATION in
einem Hotelzimmer die Wasserspülung betätigt,
quillt ihm Blut entgegen und überspült den Boden.
Hier sind Wasser und Blut eine direkte Verbindung
eingegangen.
Der Regen hat noch eine andere Bedeutung: Er ist standig präsent, auch wenn es eigentlich nie regnet. Trotzdem trägt Harry Caul fast den ganzen Film über einen Regenmantel. Der Sinn dieses Regenmantels erschließt sich am ehesten über Harrys Nachnamen: "caul" ist das englische Wort für "Glückshaube". Eine Glückshaube ist "die unverletzte Eihauthülle, in der das Kind bei ausgebliebenem Blasensprung geboren wird; die Glückshaube muss sofort zerrissen werden, um ein Ersticken zu verhindern... der Volksglaube spricht so geborene oder mit Resten der Eihauthülle behaftete Kinder als Glückskinder an, zumal wenn sie im Besitz der Glückshaut bleiben oder Teile in die Kleider vernäht bekommen." (aus: Brockhaus Enzklopädie in zwanzig Bänden. Band 7)
Ausgehend von diesem Gedanken ergibt sich
eine interessante Möglichkeit, den Charakter
Harry Caul zu verstehen: Harry ist das
Glückskind, das seine Glückshaube noch trägt, in
Gestalt seines Regenmantels aus Plastik.
Der amerikanische Filmkritiker James W. Palmer
baut auf dieser Verbindung des Namens "Caul"
mit dem Plastikmantel eine ganze Interpretation
von THE CONVERSATION auf: er sieht den Film
als "die Biographie eines ungeborenen Mannes,
eine Studie über Harrys erfolglosen Kampf, sich
selbst als einen moralischen Menschen zu
gebären." (James W. Palmer: THE CONVERSATION: Coppola's Biography of an Unborn Man. in: Film Heritage, Vol. 12, Nr.1)
"Dieser Abhörspezialist Harry Gaul, der von einem Agenten des Systems schliesslich zu dessen Opfer wird, der die kompliziertesten Apparate bedient und gleichwohl in einem Vakuum lebt, gepeinigt von untergründigen Ängsten, vom Zweifel und vom Verdacht, gehört zu den interessantesten Figuren des neuen amerikanischen Kinos." (Ulrich Gregor in "Geschichte des Films ab 1960", Band 4)
Der letzte Tycoon
Eingerahmt wird THE CONVERSATION von
THE GODFATHER, PART I und PART II - ein
persönlicher Film zwischen zwei Auftragsfilmen,
mit denen er so etwas wie eine Symbiose
eingeht: nur durch die Arbeit für die großen
Studios kann sich Coppola immer wieder seine
persönlichen Projekte verwirklichen; gleichzeitig
entwickelt er auch in seinen Auftragsfilmen seine
persönlichen Themen weiter.
Alle Figuren Coppolas haben ein besonderes
Verhältnis zur Ikonografie seiner Filme; sie
definieren sich durch sie. So werden auch seine
Auftragsfilme beinahe zu persönlichen Filmen.
Coppola ist sich der Möglichkeiten und Gefahren seiner Zugeständnisse durchaus bewusst. Während andere Filmemacher der selben Ära den Konsens scheuten und zu Hollywood-Außenseitern wurden (Monte Hellman, Sam Peckinpah), oder einfach von den Bedingungen der Unterhaltungsindustrie aufgefressen wurden (Matthew Robbins, John Korty) hat sich Coppola als letzter Tycoon der Filmgeschichte etabliert. Er hat es seiner Originalität hinsichtlich seiner Themen und Stoffe, aber auch seinem Kalkül zu verdanken, dass er nie zu einem reinen Auftragsregisseur, zu einer hired gun wurde.